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Marken als Wissensspeicher
Im letzten Beitrag wurde gezeigt,
- dass die Alltagskultur und dem Alltagswissen entnommene Bedeutungen das Markenkonstrukt wesentlich mitbegründende Faktoren sind,
- dass die als alltäglich empfundene Kulturwelt auf der Basis erfahrungs- und erlebnisgenerierten Wissens immerzu aktiv anhand von als typisch erkannten Eigenschaften und Merkmalen wahrgenommen, begriffen und begründet wird,
- dass das gemeinsame Verstehen zu kollektiven Auffassungen und übereinstimmenden Interpretationen führt, die als Alltagswissen bezeichnet werden,
- dass die unserem Alltag, unserer Kultur, ja unserem ganzen Denken zugrundeliegenden Begriffe Ergebnisse kommunikativer Aushandlungsprozesse sind und
- dass deshalb auch die von uns wahrgenommene und erlebte Wirklichkeit niemals außerhalb der Sprache existieren kann.
Da wir nun wissen, dass auch Marken bzw. Bedeutungskonglomerate nicht außerhalb von Sprache existieren können, wäre es interessant zu erfahren, wie solche Bedeutungen zustandekommen und im Weiteren, wie sie zu Alltagswissen werden. Für die digitale Markenführung von besonderem Interesse wäre in diesem Zusammenhang die Beantwortung der Frage, ob und wie die Bildung solcher Bedeutungen beeinflusst werden können.
Das Komplexe im Einfachen
Fragt man fremde Menschen auf der Straße, was „Mercedes“ bedeutet, so werden die wenigsten besagte Buchstabenkombination mit einem spanischen Mädchen assoziieren. Zumindest gilt dies für den nichthispanischen Sprach- und Kulturraum. Nicht einmal der Name muss fallen. Es reicht schon der dreizackige Stern des Markenzeichens aus, um Antworten wie diese zu erhalten:
„Mercedesfahrzeuge sind qualitativ hochwertig und luxuriös.“
Oder: „Oh, ein Mercedes ist ein großartiges Auto. Zwar teuer, aber einfach toll.“
Diese Sätze repräsentieren in kommunikativen Prozessen zustande gekommenes Alltagswissen (bzw. Meinung) insofern, als er auch von Personen übernommen und weitertransportiert wird, die noch nie in einem Mercedes saßen. Ein Mensch, der noch nie etwas von Mercedes gehört aber das Markenzeichen gesehen hat, ist auf sprachliche Bedeutungsdefinitionen angewiesen und wird diese auch übernehmen, wenn ihm wiederholt vergleichbare Definitionen angeboten werden – insbesondere dann, wenn es sich um starke Marken mit hohem Prestige handelt, um die sich infolgedessen Gruppen bzw. Communities mit eigenen kulturellen Merkmalen bilden. Communities stützen das Bewusstsein ihrer Einheit und Eigenart auf eine Wissensstruktur, die mit dem Alltagswissen verwandt sind. Organisierte und zeremonialisierte Kommunikation, wie sie in digitalen Formaten üblich sind, entfaltet bei starken Marken formative und normative Kräfte, die permanent Gruppenidentität reproduziert.
Starke Marken sind stark, weil sie mit starken Bedeutungen aufgeladen sind.
Für die Markenführung sind Äußerungen wie die oben zitierten von großem Nutzen, weil sie Auskunft über das mit der Marke zusammenhängende Alltagswissen geben. Jeder der Beispielsätze beinhaltet nämlich Begriffe, die den sog. Korpus der Marke repräsentieren. Es sei darauf hingewiesen, dass die Wortstärke Auskunft über das Erregungspotential des Themas gibt. Dieses Potential speist sich eben nicht nur aus der äußeren Erscheinungsform oder dem Nutzen des Markenprodukts, sondern ganz besonders auch aus den mit der Marke verbundenen Reizbegriffen, die im Alltagsgedächtnis abgespeichert sind.
Der Korpus entsteht nicht nur durch die persönliche Erfahrung mit der Marke, sondern ergibt sich aus den tagtäglich weitergegebenen, überlieferten Narrativen. Handelt es sich um eine starke Marke wie Mercedes, wollen die Menschen, allein schon aus Zugehörigkeitsmotiven, regelmäßig an diesem Gruppennarrativ teilhaben. Dabei muss diese Teilhabe nicht einmal unbedingt positiver Natur sein. Auch der in bestimmten Subkulturen gepflegte Protest gegen Luxusartikel, der im Falle von Mercedes zum gleich massenhaften Diebstahl des Sterns führt, ist Teil des sich von anderen Marken stark differenzierenden Mercedes-Mythos‘.
Nicht ganz unwahrscheinlich wäre nämlich auch eine Aussage wie: „Mercedes? Ein scheiß Bonzenauto!“
Menschlich-allzu-Menschliches
Da wir alle Menschen sind, können wir auch nachvollziehen, dass dem Menschen ohne von außen vorgegebene sprachliche und denkgrammatische Inputs die Konstruktion von Bedeutungen unmöglich wäre.
Auf Basis dieser Erkenntnis können folgende Thesen formuliert werden:
- Einerseits sind Bedeutungen in uns, andererseits sind Kulturen als von Alltagswissen geprägte Bedeutungsgemeinschaften zu verstehen. Kulturen sind vor allem Alltagskultur. Da Alltagswissen und Alltagskultur außerhalb der Sprache nicht existieren können, sind sie nicht nur subjektiv/individuelle, sondern auch gesellschaftliche, kulturelle und historische Phänomene.
- Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit, Alltagswissen von zwei Seiten aus zu betrachten: 1. die aus Erfahrungen und Erlebnissen resultierenden Bedeutungskonstruktionen von Individuen (Kognition) und 2. die Kommunikation der Individuen mit der Gesellschaft, innerhalb derer das Alltagswissen praktiziert und kommuniziert wird. Beide Seiten sind untrennbar und in gegenseitiger Abhängigkeit miteinander verkoppelt.
- Als Vermittlungsglied dieser strukturellen Kopplung von Kognition und Kommunikation nimmt die Sprache eine zentrale Stellung ein. Bedeutungswissen wird durch sprachliche Kommunikation vom privaten zum gesellschaftlichen Phänomen.
- Alltagswissen über Marken kann über mit dem Aussagekern nur mittelbar zusammenhängende, Wörter, Sätze und Texte ausgedrückt und formuliert werden. Die nicht unmittelbar erkennbare Verbindung zur Kernaussage wird bei starken Marken durch stillschweigendes Wissen ersetzt.
- Zurückzuführen ist dies auf die Tatsache, dass Bedeutungswissen auch durch alltagsgebräuchliche Wortverbindungen bzw. Texte konstruiert, transportiert und weitergegeben wird.
- Solche Texte bzw. Wortverbindungen kommen nicht zufällig zustande. In ihnen schlagen sich die alltagssprachlichen, mit dem Wesen der Marke zusammenhängenden Bedeutungen und Zusammenhänge nieder.
Die Ordnung im Chaos
Kommunikativ weitergegebene Bedeutungsinhalte stellen überall auf der Welt die zentralen Konstitutionsformen von Wissen dar. Indem sie kollektiv verfügbar, das heißt zu Allgemeingut werden, werden sie gleichzeitig auch zu überindividuellen, gesellschaftlichen Phänomenen. Kommuniziertes Wissen kann nur zu Alltagswissen werden, wenn es „anschlussfähig“ ist. Anschlussfähig sind kommunizierte Bedeutungsinhalte, wenn die am Aushandlungsprozess Beteiligten davon überzeugt sind, dass ihre Beiträge für die Folgekommunikation in irgendeiner Weise relevant sind, also selbst Bedeutung haben. Deshalb gehört es zu den elementaren Tugenden von Markenführung, thematische und szenische Räume zu eröffnen und zu erhalten, innerhalb derer sich vorherrschende Diskurse manifestieren und mit gängigen Denk-, Deutungs- und Bewertungsmustern verbunden werden. Obwohl – vielleicht aber auch gerade weil – die alltäglichen, kultur- bzw. gruppenspezifischen Kommunikationsformen ein signifikant hohes Maß an Ungeformtheit, Unorganisiertheit und Beliebigkeit aufweisen, baut sich aus ihnen ein Gedächtnis auf, das sozial vermittelt und gruppenbezogen ist. Jedes individuelle Gedächtnis konstituiert sich in der Kommunikation mit anderen. Diese anderen sind aber keine beliebige Menge, sondern Gruppen, die ein Bild oder einen Begriff von sich selbst, also ihrer Einheit und Eigenart haben, das sie auf ein Bewusstsein gemeinsamer Vergangenheit stützen. Auf diesem Bewusstsein basiert das Wissen der an der Kommunikation Beteiligten über die Bedeutung ihrer Beteiligung.
Deshalb werden Inhalte, die in einem anderen als dem innerhalb einer Markencommunity vorherrschenden Denk- und Sprechstil kommuniziert werden, nicht in das System des hier und genau hier gültigen Wissens und Gedächtnisses aufgenommen. Dasselbe gilt auch für Antithesen und Gegenargumente.
Mercedes ist eine so immens starke Marke, weil sie mit starken Bedeutungen aufgeladen ist. Diese Bedeutungen sind nicht mehr wegzudenkende Bestandteile des Alltagswissens und der Alltagskultur. Da die Identitäten von Marken kommunikativ ausgehandelt werden, sind penetrierende und überredende, monologische Konzepte der Markenführung überflüssig, oftmals sogar kontraproduktiv.
Wer von einer Marke überzeugt ist, benötigt keine plakativen Botschaften mehr. Wer von einer Marke überzeugt ist, weiß.
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