Generation Y

 

„Die  Jugend  liebt  heute  den  Luxus,
sie  hat schlechte  Manieren,
verachtet  die  Autorität,
hat  keinen  Respekt  mehr  vor  älteren  Leuten
und  diskutiert,  wo  sie  arbeiten  sollte.“
So sprach der weise Grieche Sokrates, seines Zeichens Großmeister des Dialogs, über die Generation Y der Antike.

„Ja ja, die Jugend von heute …“


Sokrates‘ Aussage ist der Beweis für die Vermutung, dass sich die alten Säcke schon in der Antike über die Nachrückenden aufregten. Bestimmt aber auch schon viel früher. Wie mag sich Neanderl‘s Opa gefühlt haben, als ihm, dem Rückständigen, der pubertierende Enkel mit dem Faustkeil kam und die althergebrachten Techniken des Schabens revolutionierte?
Oder Amerikas Nomaden: Weder kannten sie Rad noch Pferd, und so blieb ihnen nichts anderes übrig, als ihre Habseligkeiten daselbst qualvoll per Lastschlitten durch die Plains und Mountains zu zerren. Erst den Spaniern entlaufenen Pferden hatten sie es zu verdanken, dass sie irgendwann auf das Pferd kamen. Nun konnte man, mitsamt Wigwam und Squaw, dem Sonnenuntergang komfortabel entgegen reiten. Was für eine Erleichterung! Der Lastschlitten war Geschichte. Er war das Opfer technologischer Disruption geworden. Old Sitting Bull war peinlich berührt und wurde ganz rot im Gesicht: Hätte er doch bloß auf den Jungspund gehört!

Die Alten kamen sich schon immer ein bisschen blöd vor, wenn sie von ihren Enkeln vorgeführt wurden. Und schon immer fanden die Jungen spätestens ab der Pubertät ihre Eltern spießig, altbacken und rückständig – kurz: irgendwie scheiße - und begehrten gegen sie auf. Umgekehrt fanden die Älteren die Jungen unreif und hielten deren Neuentdeckungen für schwachsinnig bis gefährlich.
Kurzum: Das Generationenproblem ist so alt wie die Menschheit. Ewige Ursache für Hader und Streit. Immer wieder dasselbe Problem.
Nun können Probleme sehr großen Nutzen entfalten, denn sie schreien nach Lösung. Und technischer Fortschritt hat nicht von der Hand zu weisende Vorteile, bringt zumeist ein Mehr an Bequemlichkeit und Freiheit mit sich …

Deshalb ist just dieser Streit zwischen Jungen und Alten, der nun schon in die Xte Folge geht, einer der Gründe dafür, dass sich die Menschheit technisch und kulturell immerzu weiterentwickelt. Schon immer wollte das Hänschen dem Opa beweisen, was für ein toller Hecht er doch war. Wobei er regelmäßig vergaß, dass Opa erst die Grundlagen seines Wirkens geschaffen hatte.
Und schon immer sahen die Alten auf die Kiddies herab. Dabei könnten sie so viel voneinander lernen! Stattdessen darben Opa und Oma heute vereinsamt im Heim, Vater und Mutter sind unter stets wachsendem Druck am Malochen, und Hänschen starrt auf den Bildschirm.
Das muss sogar unserer derzeitigen Bundesverweichlichungsministerin Ursula von der Leyen aufgefallen sein. Deshalb förderte sie in ihrer früheren Funktion als Ministerin für Frauen, Gesundheit und Genderwahn des Landes Niedersachsen Mehrgenerationenhäuser, unter deren Dächern hinfort Menschen unterschiedlichster Neigungen, Bedürfnisse und Altersstufen nicht nur koexistieren, sondern voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen sollten. Dafür, dass Mama Schulze Opa Müller im Rollstuhl durch den Garten schiebt, unterweist Oma Müller die Enkel im Häkeln. Eine tolle Idee.

Terra Incognita.

Es wurde viel geschrieben, und also kann man viel nachlesen über die Generation Y. So viel, dass man glauben könnte, diese Generation unterscheide sich radikal von allem bisher Dagewesenen. Ganze Bibliotheken wurden mit Modellbildungen und Theorien, Empirischem und Phantasiertem, Projektionen, Vermutungen. usw. vollgekritzelt.

Die – berechtigte – Kritik liegt auf der Hand. Gemeinsam ist den Annäherungsversuchen nämlich eine verstörende Tendenz zur Verallgemeinerung. Deshalb muss erst mal hinterfragt werden, ob und inwieweit solche verallgemeinernde Modelle, die immerhin einige Millionen Individuen betreffen, überhaupt richtig, zulässig und anwendbar sind.
Da es nun mal getan wird, sollten wir uns den diffusen, in seiner eigenen Unschärfe verschwimmenden Begriff „Generation“ einfach mal von näherem ansehen: Eigentlich umfasst eine Generation 25 Jahre und grenzt damit die Zeit ein, die ein Mensch vom Zeitpunkt seiner Geburt an durchschnittlich benötigt, um erwachsen zu werden und sich fortzupflanzen.

Eine andere Definition bezieht sich auf einen bestimmten Zeitpunkt, zu dem ein Bruch von kultureller oder historischer Tragweite den Beginn einer neuen Ära markiert, die wieder endet, sobald ein erneuter Bruch oder ein kultureller Höhepunkt die nächste Generation einläutet. Die Anfänge und Enden von Generationen wären dann bestimmte Systemwechsel ökonomischer, politischer, technischer oder wirtschaftlicher Natur. Halte ich für einleuchtend.

Maßgeblich für die Definition einer Generation wären dann die Dinge, die die Menschen zum Zeitpunkt ihrer Existenz besonders prägten, interessierten oder, wie im Krieg, demolierten. Dinge also, die ihr Erleben bestimmten und aus denen sich eine bestimmte, ähnliche Wahrnehmung des Weltgeschehens ergab.

Selbstverständlich ist es nämlich ein Unterschied, ob man im Mittelalter bis zu den Knien in der Kuhscheiße versank oder ob man dem Jetset der Roaring Twenties angehörte. Ob man, überwältigt vom Schönen und Guten, seinen Sturm und Drang dichterisch entfesselte oder ob man in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die ungeheuren Segnungen des neuen Privatfernsehens genoss.
Was ich meine, ist das, was man als „Alterskohorten“ bezeichnet. Ein Sammelsurium von Individuen, die zur gleichen Zeit in einem geographisch, politisch und/oder kulturell eingegrenzten Gebiet leben. Die sich also aus bestimmten Gründen miteinander verbunden fühlen oder angewidert voneinander abwenden.

Manche behaupten übrigens, die Generationenproblematik, ja überhaupt die massenhafte Einteilung von Individuen in von bestimmten Zeitgeistströmungen geprägte Generationen sei nichts als eine Finte von Geschäftemachern, die sich auf diese Weise einen Berater- und Beratungsmarkt eröffnen wollen. Halte ich für Blödsinn.
Was die Generationensache betrifft, ist nämlich unübersehbar, dass es Jahrgänge und Reihen von Jahrgängen, also Alterskohorten gibt, die bestimmte übereinstimmende Prägungen und Einstellungen, also eine vergleichbare Ausrichtung des Bewusstseins aufweisen.

Aber welche Menschen sind denn nun gemeint? Meine Tante Gisela? Die kann nämlich wahnsinnig gute Striezel backen. Aber ob ihr Einfluss ausreicht, um eine ganze Generation zu repräsentieren? Auch mein 86 Jahre alter Opa aus Hückeswagen ist trotz seiner beeindruckenden Briefmarkensammlung eher nicht Teil jener Kraft, die die Geschicke der Generation Y vorantreibt. Nein, Treiber, also „Generatoren“ der Zeit, in der wir leben – und der Generationen davor – sind die jungen Leute, die nach Bildung und sozialem und wirtschaftlichem Aufstieg lechzen. Sie sind es, die verändern wollen. Sie sind es, die Jungs und Mädels in den besten Jahren zwischen 20 und 40, die die Moden und den Zeitgeschmack bestimmen. Sie sind diejenige Gruppe von Individuen, die aufgrund ihrer besonderen Leistungsfähigkeit und –Bereitschaft (die im Alter zwischen 20 und 40 Jahren am stärksten ausgeprägt ist) die Trends einer bestimmten Zeit setzen, weil sie motiviert und ambitioniert sind, etwas zu erreichen und die Welt für sich und andere zu einem besseren Ort zu machen.

Why „Y“?

Wer „Generation Y“ hört, muss denken, dass es zuvor eine Generation X, irgendwann vorher eine Generation H und M usw. gegeben haben muss, und dass nach dem Y die letzte Generation „Z“ folgen wird. Das wäre dann das Ende der Fahnenstange. Keine Panik: Das „Y“ ist nur ein Teekesselchen (die Generation „Z“ gibt es aber wirklich, es ist diejenige, die eine Welt ohne Smartphone und Tablet gar nicht kennt).

70 Jahre zurück

Was kann es nach fünfeinhalb Jahren Krieg und Entbehrungen schöneres geben, als sich endlich bei Kerzenlicht eng aneinander zu reiben? Das enorme Bedürfnis nach körperlicher Nähe half damals dabei, den im Krieg entstandenen Verlust an Menschen wieder wettzumachen. Die Babyboomer, die in der Zeit zwischen 1946 und 1964 auf die Welt kamen, rissen den damaligen Bundeskanzler Adenauer zu der Behauptung hin, dass das Kinderkriegen quasi ein Automatismus sei. Auf diesem Irrtum beruht das bis heute fortbestehende, inzwischen hoffnungslos marode deutsche Rentensystem.
Denn dann kam die Antibabypille.

Die in den Jahren 1960 bis 1970 geborene Generation X stand für „Null Bock“. Es sind die Kinder derer, die 1968 gegen das Establishment aufbegehrten. Sex and Drugs and Rock’n Roll. Entsprechend wurden die Kids auch verzogen, sie sogen den Protest mit der Muttermilch auf und hatten auch keinen Bock mehr, selbst Kinder zu kriegen. Sie waren es, die Helmut Kohl mit seinem historischen Rüffel „Die Puntzrepublk Detschlnt ist kein kollecktiefer Frzeitpack!“ (= Deutschland ist kein kollektiver Freizeitpark) meinte.
Nicht einmal aufs Kindermachen hatten die Null-Böckler Bock. Das bisschen Nachwuchs, das sie in die Welt setzten, nennt man „Generation Y“. Im Folgenden werde ich sie der Einfachheit halber „Yner“ nennen.

Y

Die Generation Y scheint sich von ihren Vorgängern in der Tat stark zu unterscheiden.
In ihrer Kindheit begannen sich die alten, jahrzehntelangbestehenden Sicherheiten aufzulösen wie ein Würfel Zucker im Tee.
Sowjet-Gorbi war zum Knuddeln lieb, Bundesbirne Kohl zeigte sich resolut und vereinigte Deutschland. Dafür begann die üble asymmetrische Auseinandersetzung zwischen Okzident und Orient. Die EU dehnte sich nach Osten aus und überdehnte sich. Der Euro wurde eingeführt und floppte schlimmer als in den tollkühnsten Prophezeiungen geweissagt.
Die Zeit nach dem Zusammenbruch des Sowjetkommunismus stand endgültig unter dem Primat der Wirtschaft. Globales Wachstum, Spekulation, Reichtum. Haste was, biste was. Der Westen hatte gesiegt. Dann übernahmen Algorithmen das Kommando. Mit der Globalisierung kamen den Eliten allmählich die Werte abhanden, der Westen begann, sich selbst zu verlieren. Man vergaß, was wichtig und wertvoll ist. In ihrer Gier waren (und sind) die sogenannten Eliten sogar bereit, die vernunftbasierte Freiheit, für die Jahrhundertelang gekämpft wurde, wegzuwerfen, alles unter dem Vorwand einer beliebigen, den Wahnsinn entfesselnden Moral. Ihr Standpunkt ist der Relativismus, mit anderen Worten: Gar keiner. Wenn es keine Standpunkte, also keine Orte zum Stehenbleiben gibt, dann verflüssigt sich die Wirklichkeit. Dann muss jeder schwimmen lernen und sich selbst eine Insel bauen, auf der er stehen kann.
Das Neue an der Generation Y ist, dass sie als erste in einem Umfeld aufwuchs, in dem kognitive Fähigkeiten vom Menschen auf Maschinen ausgelagert wurden. Viele von ihnen sind behütete Einzelkinder. Statt sich nach Kräften mit anderen Kindern im Dreck zu wälzen, wurden sie mit Nintendo, Tamagochi und Playstation, später mit Handy, Tablet und Smartphone groß.
Sie sind geprägt von der zunehmenden Ausbreitung immer besserer, immer kleiner werdender digitaler Endgeräte. Heute passen sie in jede Hosentasche. Trotzdem stellt ihre Rechenleistung locker diejenige der raumfüllenden Computer in den Schatten, die noch vor 20 Jahren zur technischen Creme de la Creme gehörten.
Die Übertragung kognitiver Aufgaben vom Menschen an die Maschine führt zu einer zunehmenden Verschränkung der analogen und digitalen Hemisphären, die sich – siehe Pokemon – inzwischen so überlappen können, dass zuweilen sogar die Unterscheidung zwischen Analog und Digital misslingt.
Hinzu kommt das Wissen, dass die mit der Digitalisierung verbundene Bequemlichkeit auch eine Unmenge mathematisch verarbeitbarer Daten generiert, die automatisch gesammelt und ausgewertet werden können: Ein ununterbrochen anschwellender, gigantischer Daten-, Wissens- und Informationspool, der aber nur von denjenigen ausgebeutet werden kann, die über die entsprechende Technik verfügen. Wer es sich leisten kann, sammelt Daten über diejenigen, die es nicht verhindern können, so dass diejenigen, die es können, alles wissen. Aus diesem Big Data-Wust erwächst eine neue Bedrohung. Ein Monster.

Auf einer noch tieferen psychischen Ebene bedeutet die Verschränkung der analogen mit der digitalen Welt eine Verschmelzung der menschlichen Körperlichkeit mit dem Internet. Das Unterbewusstsein nimmt diese unnatürliche Symbiose als Gefahr für das Körperselbst und die Freiheit wahr. Vielleicht vor nichts anderem hat der Mensch größere Angst, als die Kontrolle über Denken und Körperlichkeit zu verlieren.
Der Unterschied zwischen den Ynern und ihren Vorgängern dürfte zu einem guten Teil auch auf die Kultur-, Bildungs- und Gesellschaftspolitik zurückzuführen sein, die von den seit einigen Jahrzehnten die politische Agenda maßgeblich mitbestimmenden 68ern durchgesetzt wurde und wird. Ihr erklärtes Ziel war von Anfang an, die bestehenden gesellschaftlichen Strukturen zu zertrümmern. Das Werkzeug der Dekonstruktion ist eine totalitäre Gleichmacherei. Die aus dem Feminismus hervorgegangene Aufweichung sogar der geschlechtlichen Identitäten durch das allgegenwärtige Gender Mainstreaming hat zu einer Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geführt, die teils in geistiger Inkontinenz gipfelt.
Die Realität scheint sich aufzulösen. Rief nicht erst kürzlich Mutti Merkel das „postfaktische Zeitalter“ aus?
Die Generation Y war einerseits gezwungen, sich den Entwicklungen anzupassen. Andererseits begehren sie, wie jede Generation vor ihnen, gegen das Bestehende auf. Die Verunsicherung hat offensichtlich zu  dem massiven Bedürfnis geführt, doch noch so etwas wie ein Sicherheitsgefühl zu erreichen. Die Dekonstruktion von für überholt gehaltenen Standards verursachte eine tiefe Sehnsucht nach Ersatz.
Damit führen sie die Ideale sowohl der 68er als auch der Null-Bockler ad absurdum.
Der Generation Y werden nämlich Attribute zugeschrieben, die ihre Vorgänger hofften überwunden zu haben. Denn das Bedürfnis nach psychischer Konsistenz ist ein zutiefst menschliches. Die Dekonstruktion von Familie und Gesellschaft sowie die individuelle Vereinzelung haben dazu geführt, dass sich die Kids nun massenhaft im digitalen Raum organisieren. Das Kommunikationsbedürfnis scheint grenzenlos, die Familie hat sich auf den gesamten Globus ausgedehnt. Peergroups und Freundeskreise entstehen wie selbstverständlich nicht mehr in der begrenzten analogen Welt, sondern im grenzenlosen Internet.

Viele Yner mögen sich auch im Stich gelassen fühlen, wurden sie doch ungefragt in den globalen Irrsinn geworfen. Deshalb ist es nur logisch, dass sie die früheren Lebensentwürfe ablehnen. Wenn schon Digital Native, dann richtig. Dann will der Yner auch radikal die Freiheit genießen dürfen, die allein die Bindungslosigkeit garantiert. Schließlich hat das Ungefähre und Unzuverlässige auch seine Reize. Das Sich-nicht-Festlegen-Müssen, das aus dem Sich-nicht-Festlegen-Dürfen resultiert – es wurde ihnen von Kindesbeinen an auferlegt.

Hinter der Unsicherheit schläft der Wunsch, sich zu bewähren. Schließlich muss die natürliche, die angeborene Angst vor dem Uferlosen kompensiert werden. Ohne es zu wollen – und vermutlich sogar ohne es zu wissen, denn es geschah ja unbewusst – haben die Yner als in das  Internet hineingewachsene „Digital Natives“ von selbst und spielerisch den Umgang mit den neuen Techniken erlernt und sich auf diese Weise Skills erworben, die für die Gegenwarts- und Zukunftsgestaltung von allergrößtem Nutzen sind.

Statt nämlich durchzudrehen, ist das Internet den Ynern das Werkzeug, um innere Strukturen neu zu begründen und zu etablieren. Der Weg ist Austausch, Aktion und Transaktion.

Im Internet haben sich längst Abertausende von Marktplätzen etabliert, wo Ideen gehandelt werden können. Es ist ein Leichtes, ein Mausklick nur, und schon sind Ansprechpartner gefunden, die Ähnliches im Sinn haben und mit denen man sich austauschen kann. Vernetzung ist das Ein und Alles. So werden heute Produkte und Dienstleistungen angeboten und nachgefragt.

Da wir uns auf den Begriff der Alterskohorte geeinigt haben, um den Generationenbegriff der diffusen Entrückung zu entziehen, bleibe ich also dabei: Das, was man mit „Generation Y“ meint, sind die Jungs und Mädels, die in den Jahren 1980 bis 1999 geboren wurden. Deshalb nennt man sie zuweilen auch die „Millenials“.

Bemerkenswerterweise sind viele der Eifrigsten unter ihnen erstaunlich gepflegt und gut gekleidet. Sie haben gute Manieren, sind angenehm distanziert und höflich. Nur für ein Gespräch stehen sie scheinbar nicht zur Verfügung. Aber mal ganz ehrlich: Würden dir diese Leute ganz fest in die Augen sehen – würdest du dann ein Gespräch mit ihnen beginnen? Hast du das früher, als es noch keine Smartphones gab, denn getan? Jeden angequatscht? Wie unangenehm!

Überall

Man sieht sie in und vor Universitäten, auf der Straße und im Café, sie stehen in Gruppen und einzeln, und wo man sich früher unterhielt, herrscht zumeist Stille. Kaum verlassen sie einen Raum, ziehen sie wie einst Wyatt Earp seinen Colt ein Smartphone aus der Tasche. Und der digitale Einwanderer fragt sich: „Was ist jetzt da schon wieder um so vieles interessanter als die direkte Umgebung?“

Nun, Kommunikation ist interessant. Für den Menschen, das kommunikative Gesellschaftswesen, ist es das Interessanteste überhaupt. Anderenfalls würden sich ja diejenigen, die sich über die Nichtverfügbarkeit der Yner beklagen, nicht ärgern. Logisch. Die digital Natives, die in es hinein, mit und im Internet Aufgewachsenen, die digitalen Eingeborenen, sind ein riesiges globales Netzwerk, eine gigantische Community, eine Familie. Hier kennen sie sich aus. Hier sind sie zuhause. Überall.

 

The Other Side

Dem Befund aufseiten der Generation Y steht spiegelbildlich der Befund aufseiten der Unternehmer gegenüber. Die Inseln, auf denen sie jahrzehntelang standen, werden von den Winds of Change schneller verweht, als sie gucken können.
Die Komplexität der Abläufe sowohl auf der mikro- wie auch der makroökonomischen Ebene steigt immer weiter an, die Dynamik verstärkt sich unentwegt. Die Folgen und Wirkungen von Entscheidungen und Handlungen sind immer schwieriger abzuschätzen.
Sicherheit, Identität und Stabilität als Grundpfeiler des Alltags gehen verloren. Man kann sich an nichts mehr gewöhnen, es entstehen keine nachvollziehbaren Muster. Der Kontrollverlust bedroht sämtliche Branchen.
Unternehmer stehen vor dem völlig neuartigen Problem, das eigentlich Unplanbare planen zu müssen. Sie befinden sich in einem Niemandsland irgendwo zwischen Bewahren und Verändern. Sie müssen lernen, mit der wachsenden Unsicherheit sicher umgehen zu können. Führung wird immer mehr zu Beziehungsmanagement.
Addieren wir die Unsicherheiten beider Seiten, kommen wir zu dem Ergebnis, dass neue Innovationsstrategien, besser noch Innovationsdramaturgien, gefunden werden müssen, die ein Gleichgewicht von Flexibilität und Stabilität herstellen.

Veränderungen, die diese Kriterien erfüllen, können aber nur herbeigeführt werden, wenn diejenigen, die die Veränderungen bewirken sollen, sich mit dieser Aufgabe identifizieren. Sie müssen also emotional erreicht werden. Für das Recruitment der besten Yner bedeutet dies, dass eine Abkehr von den bisherigen Rekrutierungskonzepten stattfinden muss, die den Zielgruppen keine starren Lebensentwürfe mehr anbietet, sondern Herausforderungen, die sich für Heldengeschichten eignen.

Händeringend wird nun nach den richtigen Leuten gesucht.

Ja, tatsächlich: Die Generation Y sind immer genau die, die auf der Straße, in der U-bahn, ja sogar im Aufzug durch Nichtverfügbarkeit auffallen, weil sie sich wieder und wieder das Smartphone vors Gesicht halten. Als wäre das Smartphone eine Burka für Yuppies.

Das sollen Helden sein?

Aber ja!

Man the Hunter

Glaube mir: Es ist vielleicht die beste Alterskohorte, die es je gab. Denn sie, die immerzu mit Relativismus konfrontiert waren, sehnen sich nach nichts mehr als nach Werten und Sinn. Angesichts der Werteerosion und der Verflüssigung der Welt sind sie im Begriff, neue Standards zu suchen, neue Werte, neue Umgangsformen, die global gelten können. Sie sind die Zukunft und sie kämpfen dafür. Dies ist der Hauptgrund ihres Kommunikationsbedürfnisses. Sie suchen rund um den Globus nach Lösungen, Werten und Sinn wie einst die Indianer nach neuen Jagdgründen. Die Millenials sind beides: Jäger und Sammler in der digitalen Wildnis.

Der Sinn ihres Kommunizierens ist die Suche nach Lösung und Halt. Sie leiden unter der Welt, von der sie sich abwenden – aber nur scheinbar, denn in Wirklichkeit suchen sie nach einer besseren Zukunft. Niemals sollte man ihre intrinsische Motivation unterschätzen, aus der Welt einen besseren Ort zu machen und unter Zuhilfenahme der digitalen Welt die analoge, die leibliche Realität zu erneuern. Ihr hohes Bildungs- und Informationsniveau bewahrt sie weitgehend vor Naivität, und wo nicht, wird sie in der Kommunikation behoben. Die neuen Werte werden im Netz kommunikativ ausgehandelt. Sie wissen: Die Verbesserung der Verhältnisse beginnt bei mir selbst. Ich kann Andere nicht verändern.

Bildung ist ein enormes Pfund, und mit ihm können sie wuchern. Keine Generation zuvor hat so viel in Bildung und Ausbildung investiert. Auch dies ist auf die Unsicherheit der Verhältnisse zurückzuführen, denn Unsicherheit verschärft den Wettbewerb um die besten Plätze, und die Konkurrenz ist riesig, denn sie ist global.
Wenn das Ungefähre zum Lebensgefühl wird, dann hat das auch Auswirkungen auf das Denken und dessen Struktur; dann wird das Denken liquide, es verflüssigt sich. Es wird agil und flexibel. Die Digitalisierung und die mit ihr verbundene Möglichkeit, jederzeit und rund um die Uhr an jedem Ort der Welt jeden zu erreichen, Informationen abzurufen, zu lernen und zu kommunizieren, hat die Verflüssigung des an die Zeit gebundenen Denkens nochmals beschleunigt.
Die Frage danach, was zuerst kam: Die Unsicherheit der Arbeitswelt oder die Digitalisierung gleicht der berühmten Frage nach Henne und Ei. Vermutlich ist es so, dass sich beides gegenseitig bedingt.
Das Hineinwachsen in die Atmosphäre des Beliebigen und Ungefähren hat die Yner nämlich gezwungen, das Loslassen zu lernen. Es hat zu Lebenseinstellungen geführt, die die Unsicherheit zur Tugend machen. Sie schwimmen in einem Ozean und bewegen sich von Insel zu Insel. Das Internet gibt ihnen die Möglichkeit, jede Insel sofort zu verlassen, sogar der Aufwand des Kofferpackens bleibt ihnen erspart. Ein Mausklick, und schon befinden sie sich per Lichtgeschwindigkeit auf der anderen Seite des Globus, in einer ganz anderen Welt mit anderen, neuen Partnern, Ideen, Netzwerken und Organisationsformen. Berührungsängste gibt es nicht.

 

Arbeit: Zeitsouveränität, Ortssouveränität.

Sie haben aus der Not eine Tugend gemacht. Und sie sind nicht mehr bereit, in Beschäftigungsverhältnisse einzutreten, innerhalb derer ihnen nicht mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet wird. Abhängigkeitsverhältnisse auf der Grundlage zementierter Hierarchien einzugehen ist ihnen zuwider, und sie haben es auch gar nicht nötig. Lieber verzichten sie auf Geld, als sinnlose und/oder stupide Arbeiten verrichten zu müssen.
Für Burnout-Aktivitäten, Zähne-Zusammenbeißen, kollegialen Stress, Unterdrückung, starre Hierarchien und  Mobbing stehen sie nicht zur Verfügung. Das hat aber nichts mit der Null-Bock-Einstellung ihrer Vorgänger zu tun, sondern sie sind, ganz im Gegenteil, hochmotiviert, aus ihrem Leben eine geile Zeit zu machen, denn sie wissen, wie wertvoll und begrenzt sie ist. Es gibt ja zwei Sorten von Stress: Den von außen an einen Herangetragenen und den sich selbst Auferlegten, der sich aus dem Bestreben ergibt, eine Idee erfolgreich umzusetzen. Man sollte diese Form von Stress besser als Spannung bezeichnen, denn es ist ein Spiel, und wer es gewinnt, erlebt positiven Stress. Es ist das Glück des selbstgenerierten Erfolgs. Etwas aus sich selbst heraus zu erreichen. Sie nennen es „Eustress“.
Yner sehen kaum noch fern, denn die zeitliche Taktung des Programms finden sie einfach nur blöd. Hinzu kommt, dass, wer über nur ein Minimum an Urteilskraft verfügt, das GEZ-generierte, gleichgeschaltete Mainstream- und Zwangsbeitragszwangsindoktrinationszwangsverblödungs-TV schlicht ablehnen muss. Die Yner sehen das, was sie wollen und holen sich die Informationen, die sie wollen, wann und wo sie wollen. Die Auswahl ist so gut wie unbegrenzt.

 

SINN

Da sich Zeit und Zeitgeist verflüssigt haben, hat sich, wie gesagt, auch das Denken verflüssigt. Die Flüssigkeit des Digitalen überträgt sich auf die Wirklichkeit im Hier und Jetzt. Die Yner haben verinnerlicht, dass sich im sogenannten „wahren Leben“ die großartigsten Möglichkeiten auftun, wenn man es digital vernetzt, weil daraus eine faktische Selbst-Allgegenwärtigkeit resultiert, eine unbegrenzte geistige Mobilität. Und genau so stellen sie sich auch ihre Arbeit vor. Sie müssen nirgends hin, die Welt ist ja schon da. Wenn man überall gleichzeitig ist, beginnen die Verhältnisse zu tanzen.
Wer so denkt und fühlt, findet automatisch seinen eigenen Zeittakt. Übrigens haben Genies wie Goethe zuweilen 24 Stunden am Stück geschlafen und vor sich hin gedöst, denn auch ihnen kamen im Dösschlaf, jener Phase, in der Denken und Fühlen Eins sind, die besten Ideen. Yner arbeiten immer und überall, wo und wann sie das Bedürfnis haben, dies zu tun. Was aber kann mehr Freude machen, als jederzeit etwas Sinnvolles tun zu können? Damit ist ein Menschheitstraum wahr geworden.
Die alten Arbeitsverhältnisse zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten sind Geschichte. Karl Murks‘ vom Manchesterkapitalismus inspirierte Dialektiken und auch all die anderen linken Verrenkungen haben ausgedient. Entfremdung findet nicht mehr statt, denn jeder ist frei und kann selbst entscheiden, was er wo und wie tut. Sogar die Work-Life-Balance-Idee wird neu definiert, weil die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben es nicht vermochte, eine Harmonisierung der beiden Sphären zu bewirken. Dank Digitalisierung ist Arbeit Freizeit und Freizeit ist Arbeit und Arbeit ist Sinn.

So haben sich die Yner vom Terror der Zeittaktung befreit. Sie haben keine Lust, sich zu unterwerfen und ihr Leben von außen bestimmen zu lassen. Ihre Urteilskraft ist im besten Kantschen Sinne so gut ausgeprägt, dass sie gegen Beeinflussung weitgehend immun sind – auch wenn ihnen der Vorwurf gemacht wird, aufgrund der permanenten Smartphonenutzung für Beeinflussung besonders anfällig zu sein. Das Gegenteil ist der Fall. Schließlich geht es um Freiheit!
Beruf und Freizeit werden durch die Digitalisierung eins. Beruf wird zu Berufung, wenn der Berufene tut, was ihm das Gefühl von sinnhafter Erfüllung gibt. Für dieses Gefühl sind die Yner bereit, rund um die Uhr zu arbeiten und verfügbar zu sein, also zu kommunizieren.
Und wenn sie keine Lust mehr haben, weil sie in der Arbeit keinen Sinn mehr sehen und keine Erfüllung – dann gehen sie eben woanders hin.
Denn in einer flüssigen Welt voller Unsicherheit kann es nur noch eine einzige Sicherheit geben: Das eigene Ich.

 

Missing Link

Der Jobpromiskuität der Yner steht der verschärfte Wettbewerb von Unternehmen um die besten Köpfe  gegenüber. Die globale, auch durch die Digitalisierung vorangetriebene Konkurrenz von Arbeitskräften hat zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelten und Arbeitsmärkte geführt. Was benötigt wird, sind flexible, agile und motivierte Menschen, die mit den digitalen Techniken und Methoden vertraut sind. Leute, die geil darauf sind, etwas zu verändern. Und die sich angesichts der prekären Verhältnisse nicht in die Hose machen, sondern sie als Chance betrachten und anpacken.
Was liegt dann also näher als sich bei der unumgänglichen digitalen Neuorganisation der betrieblichen Abläufe auf allen Ebenen die Fähigkeiten der Yner zunutze zu machen?
Aber Obacht!
Aufgrund der im Vergleich zu früher völlig andersartigen, liquiden Verhältnisse haben sich die Koordinaten des Personal Recruiting um etliche Längen- und Breitengrade verschoben. Mehr noch: Die Individualisten müssen innerhalb der von ihnen selbst vorgegebenen Koordinaten gefunden und gefangen werden.
Aus dem an sich erfreulichen Umstand, dass die Yner nur für Engagements zu haben sind, mit deren Sinn sie sich auch identifizieren können, ergibt sich eine nicht zu verachtende Schwierigkeit: Entweder sind die Anforderungen, die an die Sinnhaftigkeit von Engagement gestellt werden, im Angebot enthalten –  oder die Yner tanzen gar nicht erst an.
Hat man sie dann eingefangen, erwarten sie Respekt. Nicht aus Stolz und Eitelkeit, sondern weil sie dagegen allergisch sind, sich in ihrer Kreativität ausbremsen zu lassen. All dies in dem Wissen, dass sie jederzeit ihren Standort verlassen können auf der Suche nach Freude und Sinn. Und um zu lernen.

Lernen

Wenn es schon einen Chef geben muss, dann muss er dem Yner mit Respekt begegnen, ihn glaubwürdig als gleichwertigen Partner akzeptieren. Der Respekt des Yners vor dem Chef beruht auch nicht darauf, dass der mit einem fetten Schlitten durch die Stadt schrallert. Gefragt sind inhaltliche Kompetenz, Erfahrung und persönliche Hingabe. Und die ehrliche Bereitschaft, ebenso agil und lernfähig zu sein wie der Yner selbst. Ein solcher Chef muss motivieren können, er muss coachen und die Neugier seiner Mitarbeiter stimulieren können. Es muss sichtbar sein, dass der Chef nicht die Mitarbeiter, sondern das Projekt vorantreibt, dass er sich identifiziert und von seiner eigenen Sache überzeugt und begeistert ist. Dass ihn, mit anderen Worten, dieselbe Sinnsuche antreibt, die auch den Yner immer aufs Neue begeistert. Diese Art zu lernen ist es, die die Besten der Yner verinnerlicht haben wie noch keine Generation vor ihnen.
Für ihren Wert wollen sie entschädigt werden, quantitativ und qualitativ. Damit verändern sie die Wirtschafts- und Arbeitswelt, und zwar zum Besseren. Denn wir leben nur einmal. Und der Sinn des Lebens ist die Freude am Sein. Dies kann nur empfinden, wer sich die Fähigkeit erhielt, jeden neuen Tag zu bestaunen.

 

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